Seit mindestens 200 Jahren sind mehrere Beschreibungen von Krankheiten, die denen von ME/CFS ähneln, bekannt. Im 19. Jahrhundert prägte der Neurologe George Miller Beard den Begriff „Neurasthenie“, mit Symptomen wie Müdigkeit, Angst, Kopfschmerzen, Impotenz, Neuralgie und Depression. Die Neurasthenie blieb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein populär und wurde schließlich eher als Verhaltensstörung denn als körperliche Erkrankung angesehen, mit einer Diagnose, die postvirale Syndrome ausschloss. Sie wurde als medizinische Diagnose weitgehend aufgegeben. In den 1930er Jahren wurde die Erkrankung erstmals nach einem Clusterausbruch in einem Krankenhaus in Los Angeles beschrieben. Seit den 1950er Jahren wurde der Begriff Myalgische Enzephalomyelitis geprägt, die Bezeichnung Chronic Fatigue-Syndrom kam in den 80er Jahren dazu.  

Inhaltsverzeichnis

1934 Poliomyelitis

1946 – 1949 Akureyri-Krankheit

1955 Benigne Myalgische Enzephalomyelitis (Royal Free Disease)

1959 Myalgische Enzephalomyelitis

1969 Klassifizierung als neurologische Erkrankung

1983-1988 Yuppie-Grippe

1988 Chronic Fatigue Syndrom

1991-1994 Oxford & Fukuda-Kriterien

2003 ME/CFS

2015 Systemische Belastungsintoleranz (SEID)

Schlussfolgerung

Quellen

 

1934 Poliomyelitis

  • Die Epidemie des Los Angeles County General Hospital von 1934 ist der erste bekannte aufgezeichnete Clusterausbruch, der zu dem führte, was heute als Myalgische Enzephalomyelitis bekannt ist. Da zu diesem Zeitpunkt eine Poliomyelitis-Epidemie in Kalifornien auftrat, war der erste Eindruck aus der medizinischen Gemeinschaft, dass es sich um Polio handelte, zumal die Krankheit mit Ähnlichkeiten wie fieberhaften Beginn und Schwäche einherging.

    1946 – 1949 Akureyri-Krankheit
  • Für das größte Aufsehen in der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts sorgte auch der größte Ausbruch der epidemischen Neurasthenie in Akureyri (Island).
  • Man sprach von Isländischer- oder Akureyri Krankheit als neues Krankheitsbild. Sie befiel überwiegend junge Personen (15 – 19 Jahre alt), begann hauptsächlich mit allgemeinem Unwohlsein, ziehenden Hinterkopf- und Muskelschmerzen und leichtgradigem Fieber.
  • Die Ursache der Akureyri-Epidemie blieb unklar und es ging ein großer Anteil der hinzugezogenen Spezialisten von einem massenhysterischen Phänom aus.
  • Angesichts der Langzeitwirkung mit nachweisbaren neurologischen Defiziten wurde aber diese Erklärung zunehmend angezweifelt. Auch blieb die gesamte Population von Akureyri und Umgebung von der späteren, isländischen Polioepidemie auf unklare Weise verschont. 
  • Diese Indizien kurbelten immer wieder neue Diskussionen an über eine mögliche Verbindung zwischen Poliomyelitis und ME/CFS.

    1955 Benigne Myalgische Enzephalomyelitis (Royal Free Disease)
  • Im Royal Free Hospital London erkrankten im Sommer 1955 292 Ärzte und Krankenschwestern an einer seltsamen Erkrankung, welche insbesondere durch anhaltende Muskelschwäche und neurologische Symptome geprägt war. Man diagnostizierte es als Pfeiffersches Drüsenfieber, obwohl dies nicht der Fall war. 
  • Psychiater kamen zu dem Schluss, dass der Ausbruch ein Fall von Massenhysterie gewesen sei. 
  • Dr. Melvin Ramsay, der zu dieser Zeit als leitender Arzt dort arbeitete, hat nie daran gezweifelt, dass die Ursache eine Infektion war und deklarierte die Krankheit als Benigne Myalgische Enzephalomyelitis oder als "Royal Free Disease".
  • Nach dem Ausbruch im Royal Free Hospital wurde eine Erkrankung mit ähnlichen Symptomen bei der Allgemeinbevölkerung und der epidemischen Form als Ausnahme betrachtet, obwohl diese weltweit auftraten. 
  • 45 Jahre später sind sechs der damals erkrankten Patienten immer noch krank. 

    1959 Myalgische Enzephalomyelitis
  • Der Name „Myalgische Enzephalomyelitis“ wurde nach dem Ausbruch am Royal Free Hospital eingeführt und 1959 erstmals als Krankheitsbild beschrieben. Das Symptomspektrum der Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) wurde zunächst 1959 detailliert und später in ein Diagnoseprotokoll (Melvin Ramsey) standardisiert. 
  • Gegen die Unterstellung der Massenhysterie wehrte sich glücklicherweise bereits seit dem Anfang einer der damaligen Mitarbeiter des Royal Free Hospital – Dr. Melvin Ramsay. Er wandte sich vermehrt dieser Problematik zu und trug einiges zur Ausbreitung von zwei Bezeichnungen bei: des
    • „postviralen Erschöpfungssyndroms“(PVFS) und
    • der (Benignen) Myalgischen Enzephalomyelitis.
  • Er distanzierte sich eindeutig von der Hypothese der psychogenen Hauptursache und zog zahlreiche Parallelen zu weiteren, körperlichen Erkrankungen (Ebstein-Barr-Virus, Poliomyelitis etc.). 
  • Die Myalgische Enzephalomyelitis stellt die genauste und angemessenste Bezeichnung dar, da sie die zugrundeliegende Pathophysiologie der Erkrankung aufzeigt.

    1969 Klassifizierung als neurologische Erkrankung
  • Es ist u. a. Dr. Melvin Ramsay und auch ähnlichen Gesinnten zu verdanken, dass die Myalgische Enzephalomyelitis es bis in das internationale Verzeichnis der krankhaften Zustände schaffte (Erstauftritt im ICD-8 unter dem Code 323).

    1983-1988 Yuppie-Grippe
  • Die Epidemie um Incline Village, Lake Tahoe in Nevada (USA) spielte bezüglich der Namensgebung eine Hauptrolle. 
  • Zwei lokale Hausärzte, Dr. Paul Cheney und Dr. Daniel Peterson, vermerkten ab 1983 zunehmende Visiten durch Patienten mit einem durchgemachten grippalen Infekt, welcher in einen dauerhaften Ermüdungszustand mündete.
  • Stephan Strauss, einer der ersten zugezogenen Virologen, bezeichnete den epidemisch auftretenden Erschöpfungszustand als „Erkrankung der depressiven, meno-pausalen Frauen“. So wurde zunehmend eine abwertende Bezeichnung benützt – die „Yuppie flu“ (Die Grippe der Yuppies).
  • Dies widerspiegelte die Ansicht, dass es sich um eine Art Burnout der jungen, überambitionierten Generation mit zu hohen Erwartungen handelte.
  • In den Jahren 1984 und 1985 kam es in Lake Tahoe in Nevada zu einer wahren Epidemie anhaltender Müdigkeit.
  • Die US-Behörde Centers for Disease Control and Prevention(CDC) testete die Betroffenen auf Epstein-Barr-Virus, den Auslöser der Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber). Die Ergebnisse waren allerdings nicht so eindeutig und die Untersuchungen wurden wieder eingestellt. 
  • Um 1987 prägten Forscher dann den Namen Chronic Fatigue Syndrome (CFS).Von den Medien wurde es allerdings weiterhin abfällig als Yuppie-Grippe bezeichnet und viele Ärzte erklärten den Betroffenen, ihre Symptome stünden im Zusammenhang mit Neurosen und Depressionen.  

    1988 Chronic Fatigue Syndrom
  • 1988 veröffentlichte Dr. Ramsay Diagnosekriterien für ME. 
  • Gleichzeitig brach am Lake Tahoe in Nevada eine Krankheit aus, bei der eine Vielzahl von Personen eine chronische Müdigkeit in Verbindung mit Grippe-Symptomen entwickelten.
  • Für diese Erkrankung wurde dann durch das US-amerikanische Center of Disease Control and Prevention (CDC), um Gary P. Holmes, die verharmlosende Bezeichnung Chronic Fatigue Syndrom (CFS, deutsch: Chronisches Erschöpfungssyndrom) mit den Holmes-Kriterien eingeführt. 
  • Es handelte sich um eine klinisch-orientierte, akademisch absichernde Bezeichnung anhand des Leitsymptoms, da noch keine plausible Vermutung zur Genese vorlag.
  • Die Bezeichnung „Chronic Fatigue Syndrom“ hat sich aufgrund fehlenden Wissens um die verursachenden Faktoren und um den Krankheitsprozess seit vielen Jahren hartnäckig gehalten. 

    1991-1994 Oxford & Fukuda-Kriterien
  • Die Definition nach Holmes (1988) war ein wichtiger Ausgangspunkt für weitere Abarbeitungen.
  • Im Jahr 1991 veröffentlichte die Gruppe um M. C. Sharpe aus Oxford, England eine ähnlich konzipiert Arbeit. Die „Oxford Criteria for CFS“ fokussierten sich auf bessere Erfassung der Erschöpfung, bezeichneten die postinfektiösen CFS-Varianten eher als Sonderfälle, befassten sich aber nicht besonders mit den zahlreichen, rapportierten Nebensymptomen.
  • Im Jahr 1994 veröffentlichte eine weitere Arbeitsgruppe des amerikanischen Zentrums für Krankheitskontrolle (Centrum for Disease Control / CDC) um Keiji Fukuda ein Update. Das neue Kriterien-Set, bekannt als „CDC Fukuda Definition of CFS“, beinhaltete das bahnbrechende Konzept der postexertioneller Malaise. Dieser bezeichnete den verzögerten Auftritt (oder Verstärkung) von diversen Symptomen innerhalb von 72 Stunden nach körperlicher Belastung.

    2003 ME/CFS
  • Ab 2009 sprach man zunehmen von ME/CFS. Weil die exakten Mechanismen und Ursachen für die Krankheit noch ungeklärt sind, nutzen viele Wissenschaftler vermehrt die Hybridbezeichnung ME/CFS.
  • Auch Betroffene bevorzugen dieses, denn der Ausdruck Chronisches Erschöpfungssyndrom verglichen mit dem Leid, welches mit der Erkrankung verbunden ist, eher harmlos anmutet und so oft dazu führt, dass die Kranken weniger ernst genommen werden.
  • Der Doppel-Name ME/CFS tauchte offiziell zum ersten Mal im Kanadischen Konsens aus dem Jahr 2003 auf und ist am besten als operativer Traditionsbegriff zu verstehen. Er verbindet das unspezifische Leitsymptom mit einem ernst klingenden und neurologisch angehauchten Namen, überbrückt amerikanische und britische Ansichten und macht über 100 frühere Alternativbegriffe vorerst obsolet.
  • Bis in die frühen 2000er-Jahre hinein wurde ME/CFS als psychische Krankheit definiert, als "Hysterie" oder "Yuppie-Grippe" abgetan. 

    2015 Systemische Belastungsintoleranz (SEID)
  • 2015 hat das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) vorgeschlagen, der Krankheit abermals einen neuen Namen zu geben: Systemic Exertion Intolerance Disease (kurz: SEID | deutsch: Systemische Belastungsintoleranz-Erkrankung).
  • Hierbei würde die Belastungsintoleranz in den Mittelpunkt gestellt werden. Dieser Name wurde aber weitgehend abgelehnt – ME/CFS fing sich erstmal besser zu verwurzeln, und SEID hörte sich eher an wie eine schlaue Bezeichnung für die Abneigungen gegenüber körperlicher Arbeit.

Schlussfolgerung:

Bis zum heutigen Tag ist die gängige Verwendung (gerade unter Betroffenen) ME/CFS. Chronic Fatigue Syndrome wird in den deutschen ICD als "Chronisches Müdigkeitssyndrom" bzw. Chronisches Erschöpfungssyndrom übersetzt. Die Begriffe "Erschöpfung" oder gar "Müdigkeit" bagatellisieren ME/CFS, legen falsche Annahmen nahe und lenken zudem vom breitgefächerten Symptombild und dem Kardinalsymptom der Erkrankung ab:

  • „Der Name stört uns Betroffene auch massiv. Er ist irreführend und bagatellisierend. Daher verwende ich auch nur ME/CFS. Noch schlimmer ist, wenn sogar von "Erschöpfung" oder "Müdigkeit" gesprochen wird.“ (Aussage eines Betroffenen). 

Um die körperliche Ursache von ME/CFS zu betonen, bevorzugen Betroffene den eigentlichen Namen, den diese Krankheit in den 1950er Jahren bekommen hat, bevor sie in den 1980er Jahren psychologisiert wurde.

Dieser lautet Myalgische Enzephalomyelitis (ME), was so viel wie „Entzündung des Gehirns und des Rückenmarks mit Muskelbeteiligung“ bedeutet. Das bringt auch den multisystemischen Charakter sowie die Schwere der Krankheit zum Ausdruck.

Im Lehrbuch der Verhaltenstherapie von Margraf u. Schneider (2009) wird CFS abfällig als "Trendsetter" mit hohem "Popularitätsgrad" bezeichnet. Solange solche Aussagen in Lehrbücher stehen und sich Ärzte nicht weiterbilden, werden Menschen mit ME/CFS weiter falsch behandelt.

Aufgrund des Namens und der Änderung dessen von Myalgischer Enzephalomyelitis in Chronisches Müdigkeitssyndrom kämpfen Betroffene bis zum heutigen Tag mit der Stigmatisierung und der Überlappung mit anderen Erkrankungen z.B. Fatigue als Symptom bei z.B. Krebs oder MS. 


Quellen:

Verein ME/CFS Schweiz
Arbeitskreis CFS Aktuell
Docplayer 
spende-me.de
bionity.com
besthekelp.at
Wikipedia 
Jedermann Gruppe 
MillionsMissing
Deutsche Gesellschaft für ME/CFS
wirsindmillionen.info
me-pedia.org
Katharina Voss „ME - Myalgische Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom“