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Dienstag, 21 Dezember 2021 08:00

Wenn die Nacht zum Albtraum wird – Schlaf mit #severeME

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Vor einer ganzen Weile haben wir uns sehr ausführlich mit dem Thema Schlaf bei ME/CFS auseinandergesetzt. Unser Fokus lag bei diesem Beitrag auf der Frage, warum Schlaf bei ME/CFS nicht erholsam ist.

Dies könnt ihr hier gern nachlesen:

„Durch den Wolf gedreht“ – Warum Schlaf bei ME/CFS nicht erholsam ist

“Sleep is the universal health care provider: whatever physical or mental ailment, sleep has a prescription it can dispense.”

Doch was tun, wenn sich der Körper in einem ständigen Kampf befindet und Schlaf zur unmöglich wird und ist? Wir haben mit einigen schwer Betroffenen gesprochen und uns von ihren Erfahrungen mit dem Thema berichten lassen.

Was das „Leben“ für schwer und schwerst Betroffene bedeutet, könnt ihr hier nachlesen:

Leben mit schwerer und sehr schwerer ME/CFS

Triggerwarnung
Dieser Beitrag enthält Inhalte, die verstörend wirken können. Bei manchen Menschen können dies negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.

Wir stellen in diesem Beitrag dar, wie sich Schlaflosigkeit bei schwer Betroffenen zeigt, um vorrangig vom Klischee der Erschöpfung wegkommen. Oft wird unsere Erkrankung in Berichten dargestellt, als würden wir den ganzen Tag schlafen. Viele Betroffene wünschen sehnlichst, sich müde statt erschöpft zu fühlen.

Statt zu schlafen liegen Betroffene mit #severeME in der Regel stunden- oder tagelang wach. Der Körper wehrt sich gegen den Schlaf, kämpft gegen sich selbst und ist dauerhaft auf gefährliche Umgebung programmiert. Betroffene bezeichnen es als Hölle auf Erden.

Wenn sie Schlaf finden, ist es lediglich ein leichtes Dösen, immer nur für ein paar Minuten. Viele fühlen sich währenddessen wie paralysiert und können nur in einer bestimmten Position verharren und sich nicht bewegen.

Sie erleben unvorstellbare Schmerzen und Stromschläge bei vollem Bewusstsein, können nichts tun, nur abwarten und hoffen, dass der Zustand besser wird. Absolute Hilflosigkeit.

Meistens sind sie zu schwach, um die Augen zu öffnen, sich zu bewegen oder zu sprechen. Selbst Atmen ist eine kaum aushaltbare Anstrengung.

Sollte man nun denken, dass der Schlaf am Tag nachgeholt werden kann – Fehlanzeige. Es geht hierbei nicht nur um einen vertauschten Tag-/Nacht-Rhythmus. Die Betroffenen können tatsächlich über mehrere Tage hinweg nicht schlafen.

Der Körper foltert sich selbst, das vegetative Nervensystem rebelliert und es gibt keine Linderung. Schmerz- und Schlafmittel werden oft nicht vertragen oder wirken nicht.

 

Erfahrungsbericht einer Betroffenen:

Schlafen – für mich war das schon als Kind mit milder ME/CFS eine Herausforderung. Ich schlief erst ein, wenn die ersten Vögel zwitscherten und wurde kurz darauf vom Wecker oder meiner Mutter aus tiefstem Schlaf gerissen. Ich nickte immer wieder ein. Verschlief unzählige Male, kam zu spät in den Unterricht (das war schon normal bei mir) oder gar nicht. Schlief im Unterricht immer wieder ein. Am Wochenende schlief ich bis mittags.

Sie tuschelten hinter meinem Rücken, lachten mich aus, auch meine Familie. Sie nannten mich Langschläfer und lachten. Ich verstand den Begriff nicht, weil ich ja wusste, ich schlafe weniger als sie.

Bis heute ist das so. Ich schlafe nicht einfach so ein. Ich kämpfe mich durch die Nacht und hoffe, irgendwann morgens oder vormittags erschöpft wegzukippen. Es ist mehr ein bewusstlos werden als einschlafen und oft schrecke ich viele Male wieder hoch. Nach Sekunden bin ich teilweise wieder wach. Oder schlafe nur Minuten.

Wenn ich dann gnädiger Weise endlich richtig in den Schlaf komme, wache ich nach 5 Stunden wieder auf. Das war auch schon ganz anders und ich war nach 30 min oder 2 Stunden wieder wach.

Obwohl mein Körper wie auf Drogen ist und einfach nicht in den Schlaf findet, bin ich gleichzeitig vollkommen erschöpft. Unendlich müde. Ich bin zu müde, um zu lesen. Zu müde, um einfach etwas anderes zu tun, bis ich schlafen kann. Aber zu wach, um einzuschlafen. Das ist ein einziger Albtraum, jede Nacht!

Es gibt immer wieder völlig schlaflose Tage. Die längste Zeit ohne Schlaf war eine Woche. Eine Woche mit mehreren Sekundenschläfchen, aber ohne echten Schlaf! Das ist so extrem, dass mir das niemand glaubt.

Ich kenne alle Formen der Schlafstörungen. Das Einzige, was mir völlig unbekannt ist: erholsamer Schlaf und "einfach einschlafen". Ich würde den rechten Arm geben für Schlaf!

Und dann nennen Menschen es Müdigkeitssyndrom und sagen mir, ich solle mich mal richtig ausschlafen und jeder sei mal müde.

Das hier schreibe ich um 4:12 Uhr und ich bin wohl noch viele Stunden davon entfernt, dass mein Gehirn endlich ausgeht vor Überlastung und ich ein paar Stunden Ruhe finde.

 

Hast du auch damit zu kämpfen?

Schreib uns gerne in die  Kommentare wie es dir geht und wie du damit umgehst. Hast du für dich etwas gefunden, was dir persönlich etwas Linderung verschafft? Teile es gerne mit der Community.

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1 Kommentar

  • Kommentar-Link Bonny Donnerstag, 20 April 2023 14:30 gepostet von Bonny

    Obwohl ich nicht sagen kann, wann genau die Krankheit bei mir anfing, ist im Rückblick klar, dass sie sich von Anfang an auch sehr stark auf den Schlaf ausgewirkt hat. Ich hatte wirklich eine Menge Stress und Anstrengung, die ich aber lange durch sehr tiefes Schlafen kompensieren konnte. Dann wurde der Schlaf irgendwie schwerer, er schien für Träume keinen Platz zu lassen. Mir war lange Zeit nicht bewusst, dass ich nachts immer mehr verkrampfte. Noch heute muss ich, wenn ich auf dem Rücken liege, meine grundsätzlich zunächst angewinkelten Beine bewusst und gegen Widerstand strecken. Inzwischen reicht dieses aktive Lösen der Muskulatur oft aus, aber früher war das gar nicht möglich. Ich schlief, Kopf, Rumpf und Arme, in den schlimmsten Zeiten aber auch bis zu den Füßen stocksteif, etliche Monate lang jede Nacht etwa zwei bis drei Stunden. Wenn ich es denn geschafft hatte, einzuschlafen, begann mein Körper zu krampfen, und in so gut wie jeder Nacht weckte mich eine schwere Übelkeit. Ich habe in dieser Zeit keinen klaren Gedanken fassen können, und so wurde mir ewig einfach nicht bewusst, dass meine auf meinem Bauch liegenden Hände so schwer auf meinen Magen drückten, als läge dort ein großer Stein. Meist schreckte ich dann auf und musste mich sehr vorsichtig aufsetzen. Nur selten konnte ich danach nochmal einschlafen.

    Natürlich habe ich versucht, die Hände neben meinem Körper abzulegen, aber es war, als versuchte man, eine Feder auseinanderzudrücken: meine Arme waren sofort wieder angewinkelt. Auf dem Bauch zu schlafen war überhaupt nicht möglich, weil mir davon sofort sehr übel wurde, und in Seitenlage brachten mich Schmerzen in Schultern, Genick, und oft auch im Brustbereich, beinahe um den Verstand. Also schlief ich, mit einem Eimer neben meinem Bett, wohl oder übel, meist auf dem Rücken. Ich hatte in dieser furchtbaren Phase null Lärmtoleranz. Leider schnarcht aber mein Mann häufig, und unserem Haus gegenüber befindet sich ein Firmengebäude, aus welchem auch nachts sehr oft Lärm drang. Ich schlief daher etwa zweieinhalb Jahre lang im Arbeitszimmer.

    Es ging mir dann irgendwann etwas besser, so dass ich in mein eigenes Bett zurückkehrte. Meiner Seele tat es sehr gut, wieder bei meinem Mann zu sein, außerdem ist das Bett wesentlich bequemer. Ich traute mich jetzt auch, auf den Eimer zu verzichten, weil die Tür zum Bad ganz in der Nähe war. Tatsächlich gab es nun vereinzelt Nächte, in denen ich fünf Stunden schlafen konnte. Da ich mindestens acht Stunden benötige, war das immer noch wenig, aber doch ein Fortschritt. Es gelang allerdings nur selten, weil die Schmerzen dauerpräsent waren. Immer häufiger hatte ich jetzt auch noch Kopfschmerzen, und es begannen Nervenschmerzen aufzutreten. Dann arbeitete meine Verdauung immer schlechter, weswegen ich nachts oft das Gefühl hatte, einen kantigen Stein im Magen zu haben. Außerdem litt ich unsäglich unter Herz-Rhythmus-Störungen. Und dann hatte ich auch noch fürchterliche Schweißausbrüche und musste mich ständig auf- und wieder zudecken, weil ich sofort nach dem Abklingen des Schwitzens ganz erbärmlich zu frieren begann. Zwar waren daran wohl auch die Wechseljahre beteiligt, oft brach mir aber auch direkt nach jedem Umdrehen der Schweiß aus, und es geschah immer seltener, umso mehr es gegen Morgen ging. Dass es oft, wenn auch nicht immer, nach einer Anstrengung passierte, und nach längerer Ruhe nicht mehr, kam mir zwar seltsam vor, das half mir aber auch nicht weiter. Und zu all dem war es dann nachts oft auch noch laut. Unser Fenster muss immer wenigstens einen Spalt breit geöffnet sein, weil ich ohne frische Luft das Gefühl habe, zu ersticken. Und mit Ohrenstöpseln schlafen ist völlig ausgeschlossen. Ich habe bestimmt alle Varianten und Materialien ausprobiert, die es gibt, aber im Liegen habe ich damit das Gefühl, dass mir der Kopf platzt.

    Da nun "unsere" Firma auch nachts Maschinenlärm produziert, ging ich wieder durch die Hölle. Und wenn einmal kein Krach von draußen kam, dann schnarchte garantiert mein Mann. Allerdings hinderte mich das nicht jedes Mal am Schlafen, weil mich nun immer häufiger mein Magen aus dem Bett trieb. Ich verbrachte monatelang ungefähr vier Nächte pro Woche im Bad, nicht selten vier oder fünf Stunden lang. Dieser Ziegelstein, der mir im Magen zu stecken schien, machte mir aber nicht nur das Liegen unmöglich, ich konnte auch nicht sitzen, da ich dabei grundsätzlich stark in mich zusammensacke. Also blieb mir nur übrig, auf dem Badteppich zu knien, den Oberkörper möglichst aufrecht. Kein Teil meines Körpers war davon besonders begeistert, aber die einzige Alternative wäre Stehen gewesen - völlig ausgeschlossen. Es war die pure Folter, absolut unbeschreiblich. Dass ich das überlebt habe, verdanke ich nur meiner Familie. Nicht, weil sie mir geholfen hat - was hätte sie auch tun können - sondern weil es sie gibt, und weil ich es ihr einfach nicht zumuten konnte, mit einem Selbstmord fertig werden zu müssen.

    Irgendwann konnte ich dann wieder etwas besser liegen und auch häufiger schlafen. Allerdings ging dem Einschlafen regelmäßig eine mindestens zweistündige Phase voraus, in der ich mich unentwegt um mich selbst drehte, auf der Suche nach der Position, in der am wenigsten wehtut oder stört. Was auch weiterhin oft gar nicht gelang, das Kreiseln ging dann weiter. In meinem Geist meldet sich heute oft der Sarkasmus zu Wort, und ich höre dann - was so tatsächlich nicht passiert ist - eine MDK-Mitarbeiterin sagen: Was, Sie können sich selbst im Bett herumdrehen? Also dann brauchen Sie auch keinen Pflegegrad!

    Als es mir etwas besser ging, verlegten wir das Schlafzimmer vom zweiten in den ersten Stock, weil ich zu befürchten begann, ich würde die zwei Treppen bald gar nicht mehr bezwingen können. Ich konnte nun etwa in jeder zweiten Nacht halbwegs schlafen, allerdings weiterhin mit Schmerzen. Und oft wurde es auch noch durch anhaltende Herz-Rhythmus-Störungen oder Herzrasen be- oder verhindert. Und wenn ich die Nächte auch nicht mehr im Bad verbringen musste, war der "Stein im Magen" jetzt auch in meinem Hals zu spüren, er schien sogar gegen mein Kinn zu drücken, was extrem unangenehm ist.

    Nach einigen Wochen beschloss ich dann, wieder im Arbeitszimmer zu nächtigen, weil unsere Hündin nachts zunehmend unruhig ist, und ich soviel ungestörten Schlaf wie möglich ergattern will, um existieren zu können. Obwohl ich oft schon ab vier oder fünf Uhr wieder wach bin, schlafe ich inzwischen fast jede Nacht fünf bis sechs Stunden, manchmal sogar sieben, obwohl die Schmerzen immer dabei sind. Dafür habe ich aber nur noch selten Herz-Rhythmus-Störungen, und auch mein Magen benimmt sich meistens anständig. Ich kann nur hoffen, dass es nie wieder so schrecklich wird, ich bin unbeschreiblich dankbar und erleichtert, dass sich hier soviel verbessert hat.

    Zufall wird das aber wohl kaum sein. Okay, ich habe erkannt und akzeptiert, dass ich sehr viele Dinge nicht mehr vertrage, und dass ich abends sehr früh essen muss. Vor allem aber werde ich die Veränderungen wohl der Mikronährstofftherapie verdanken. Wenn die - trotz Vorliegen eines krankheitstypischen, nachgewiesenen Mangels - als nutzlos oder schwachsinnig dargestellt wird, würde ich zu gerne von den betreffenden Leute hören, wie sie sich die beschriebene Entwicklung erklären.

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