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Donnerstag, 26 November 2020 10:34

"Jemanden wie Sie muss ich nicht untersuchen, Sie haben nur kulturellen Stress." - Meryem-Luise erzählt uns von ihrem jahrelangem Leidensweg bis zur Diagnose ME/CFS

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Mein Name ist Meryem-Luise. Mein zweiter deutscher Name bedeutet Kämpferin. 1980 wurde ich als Frühchen geboren. Konnte nicht essen, nicht schlucken, hatte Probleme mit dem Stuhlgang. Nach einiger Zeit kam ich nach Hause und wurde wegen chronischer Verstopfung behandelt, was für ein Neugeborenes unsinnig ist. Meine Mutter hatte keine Ruhe mit mir. Ich blieb teilweise apathisch, an meinen Problemen änderte sich nichts. Doch anstatt Hilfe zu bekommen, wurde meiner Mutter das Münchhausen-Stellvertretersyndrom unterstellt und ich wurde ihr fast weggenommen.

 

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Da ich mich auch sonst schlecht entwickelte und zusätzlich Probleme mit den Lungen bekam, wurde ich jedes Jahr an die Nordsee auf eine Mutter-Kind-Kur geschickt. Darum bin ich im Herzen wohl ein Küstenkind. Dazu kam, dass meine Knochen zu weich waren, meine Muskeln zu schwach, die Füße verdreht. Meinem Kinderarzt fiel nichts Besseres ein, als mich ins Ballett zu schicken!

 

Als ich 5 Jahre alt war, stellte ein Arzt die Diagnose Morbus Hirschsprung*. Ich war total vergiftet und musste notoperiert werden. Mit 6 Jahren dann nochmal. Ich blieb kleiner und schwächer als die anderen Kinder. Aber ich hatte ein Leben. Ich ging ins Ballett, Eiskunstlauf, später machte ich auch Karate. Ich war nirgends der Hit, der erwünschte Erfolg blieb aus. Aber ich konnte es tun. Ich ging wandern und fuhr Fahrrad.

 

Allerdings begannen mit zunehmendem Alter meine Knochen immer stärker zu knacken. Es wurde eine chronische Bindegewebsschwäche und Muskelschwäche festgestellt. Die Therapie war allen Ernstes: Calcium und Gummibärchen! Gelatine sollte ich essen, die sei gut für die Knochen. Dazu bekam ich weitere Tabletten und Krankengymnastik.

 

Mit Ende meines 16. Lebensjahres, Anfang des 17. bekam ich einen banalen Magen-Darm-Infekt. Danach begann ich im Unterricht einzuschlafen oder nicht mehr aufrecht sitzen zu können. Schließlich durfte ich sogar eher in die Pause oder aber im Unterricht liegen. Auch begann ich einfach umzufallen oder umzuknicken. Die Meinung eines damaligen Arztes: pubertäres Gespinne.

 

Mit 18 Jahren bekam ich Malaria nach einem Urlaub in Afrika.

Danach begann meine Ausbildung. Ich musste sie leider nach ca. 6 Monaten abbrechen. Jeder weitere Arbeitsversuch scheiterte seither. Meine Eltern waren stinksauer. Sie verstanden nicht was los war.

 

Mit 20 Jahren bekam ich eine Tochter. Sie war ein absolutes Wunschkind. Ich starb fast bei der Geburt, verlor unheimlich viel Blut und musste notoperiert werden.

Mein Damaliger verbot mir die genehmigte Haushaltshilfe anzunehmen. Ich war überfordert. Trotzdem war ich fit genug, um z.B. Kinderpartys zu geben, auf Nachbarskinder aufzupassen oder das ganze Haus zu dekorieren.

Und dann gab es diese Momente voreiligen Zusammenbruchs, Tränen und Krankheitsgefühlen. Meine Hormone gerieten endgültig durcheinander. Ich wurde immer langsamer und schwerfälliger und sah aus wie ein Zombie.

 

Nach der Trennung drohte mir das Jugendamt mit Sorgerechtsentzug, denn so eine wie ich könnte kein Kind groß ziehen. Mein Ex erzählte Lügen über mich. Aber niemand kam zu mir, um meine Seite der Geschichte zu hören. Es machte mich total fertig und ich machte einen fatalen Fehler: Ich ging zum Psychiater. Es folgte eine Reihe irrsinniger Diagnosen, Therapien und Psychopharmaka, welche mir nur immer mehr Kraft raubten und meinen Zustand weiter verschlechterten. Ich musste Hartz-IV beantragen und zu der Belastung der Arbeitsversuche noch regelrechte Gemeinheiten ertragen wie "Leute wie Sie machen Deutschland kaputt".

 

Mein 2. Ehemann war älter als ich und schon unheilbar krank. Was er mir aber zunächst verheimlicht hatte. Dennoch blieb ich bei ihm. Auf einmal wurde mir noch geistige Zurückgebliebenheit und Vaterkomplexe unterstellt. Niemand glaubte mir, obwohl Dokumente vorhanden waren, die schwere Geburt meiner Tochter. Ich wurde als Lügnerin hingestellt. Ich kam in eine Arbeitsmaßnahme für junge Mütter, Straftäter, Ausländer und überhaupt vom Leben Benachteiligte.

 

Noch schlimmer wurde es, als ich begann, den Hijab zu tragen. Auf einmal war ich auch noch unterdrückt, zwangsverheiratet und eingesperrt. Wurde angeblich geschlagen, zur Hausarbeit gezwungen usw. Das wäre doch eine Erklärung für all meine Symptome. Nur, dass nichts davon wahr war.

 

Ich bekam Rehasport verordnet und brach dort mehrmals zusammen. Die Leiterin ordnete an, mich liegen und spinnen zu lassen. Als ich endlich abbrach, waren die Schäden nicht mehr rückgängig zu machen. Schließlich wurde mir die Rente genehmigt. Nach dem Tod meines Mannes wurde sie mir wieder weggenommen mit der Begründung: der Grund meiner psychischen Belastung sei ja nun weg. Dabei hatte ich mittlerweile Befunde für eine dauerhafte Behinderung.

 

Ich nahm mir einen Anwalt, wurde zu einem Gutachter geschickt. Er beschimpfte mich und meine Mutter als reif für die Klinik. Psychotisch wäre ich und ich käme ja nur zum Arzt, um mich auch mal vor einem Mann ausziehen zu können!

 

Dann verriss er mir meine HWS, um mir zu zeigen, dass da nichts wäre. Ich hatte aber eine akute Bandscheibenvorwölbung! Ich lag würgend und schreiend am Boden. Daraufhin erklärte er mich für völlig arbeitsfähig. Ich hätte ihn anzeigen sollen! Schließlich verschwand der Anwalt spurlos.

2017 heiratete ich erneut. Die Aussagen von meinen behandelnden Ärzten: Jemanden wie Sie muss ich nicht untersuchen, Sie haben nur kulturellen Stress. Geben Sie zu, dass ihr Mann sie schlägt. Nehmen Sie das Tuch ab und tragen Sie Minirock, dann geht es Ihnen besser. Bei Leuten wie Ihnen ist das eh nur psychosomatisch.

 

2019 bin ich in den Norden gezogen. Nur 3 Stunden vom Meer weg. Durch den Umzug habe ich mich so verschlechtert, dass ich fast bettlägerig geworden bin. Doch hier bekam ich endlich die Diagnose ME/CFS. Jetzt habe ich Pflegestufe und 80% Schwerbehinderung und die Merkmale B und G. Mein Mann kümmert sich liebevoll um mich. Er ist für mich da. Leider gibt es auch hier keine Ärzte in unmittelbarer Nähe, die sich auskennen. So warte ich seit Januar auf Blutuntersuchungen. Alle 2 Wochen schau ich, dass ich mit dem Elektrorollstuhl rauskomme, um den Norden zu genießen.

 

Ein großer Schock waren nach der Diagnose diese sinnlosen Ratschläge und das Unverständnis nahestehender Personen: „Das gibt es doch gar nicht.“, „Du musst nur in die Sonne.“, „Du bist nur hysterisch.“, „Das ist nur deine Schuld.“, „Nur in deinem Kopf.“, „Du kannst ja und willst nur nicht.“, „Du blockst immer ab.“, „Du bist immer gleich beleidigt.“, „Du müsstest dir nur Mühe geben und dich ändern.“ oder „Du kannst gar nicht so krank sein, du bist viel zu fröhlich und zu positiv.“ Bis hin zu Kontaktabbrüchen, weil ich ja alles nur spielen würde.

 

Dadurch habe ich einen starken Selbsthass und Selbstverletzung entwickelt. Ich erzähle nur noch das Negative, damit meine Krankheit nicht wieder in Frage gestellt wird. Weil ich keine Kraft mehr habe, habe ich über das Internet versucht, wieder eine Psychologin zu finden. Obwohl ich ihr viel über ME/CFS geschickt habe, waren ihre Antworten z.B.: „Ich solle mehr raus gehen und Leute treffen und mich in meine Angehörigen hineinversetzen, wie es Ihnen damit geht, wenn ich so bin.“

 

Ich bin so sauer wegen der Fehldiagnosen und all dem psychischen Leid, welches von Ärzten und Behörden ausgelöst wurde. Denn bereits 2016 kam eine Psychologin drauf, dass ich weder Borderline noch eine sonstige Persönlichkeitsstörung habe. Doch ihr wurde nicht geglaubt. Jeder ist davon ausgegangen, ich sei psychisch krank.

 

* lt. Google: Der Morbus Hirschsprung ist durch einen fehlerhaften Aufbau des Nervensystems des Darmes charakterisiert. Es fehlen die sogenannten Ganglienzellen innerhalb der Darmwand, deren Aufgabe es im Wesentlichen ist, für eine geordnete Peristaltik und Entleerung des Darmes zu sorgen).

Gelesen 1655 mal Letzte Änderung am Sonntag, 14 Februar 2021 10:15
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