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Montag, 18 Januar 2021 10:00

Warum Aktivierung, Bewegung und Sport bei ME/CFS oft schädlich sein können

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  • „Sie müssen jeden Tag über ihre Belastungsgrenze gehen, um wieder gesund zu werden. Es liegt ganz in Ihrer Hand!“
  • „Sie müssen nur jeden Tag mal eine halbe Stunde rausgehen, dann geht's Ihnen auch besser!“

Anfangs war man ja der Meinung, dass bei ME/CFS, ähnlich wie bei vielen anderen Erkrankungen (Depressionen, Rheuma etc.), Aktivierung bzw. Sport dem Genesungsprozess helfen würde, um eine Verbesserung des Zustandes herbeizuführen. Dies ist inzwischen mehrfach widerlegt. Die ehemals empfohlene Aktivierungstherapie (Graded Exercice Therapie/ GET) wurde aufgrund des Leitsymptoms (PENE/PEM) kontraindiziert und kann des Weiteren zu einer dauerhaften Zustandsverschlechterung der Betroffenen führen.

  • Empfehlung vom Kardiologen, den ich wegen POTS konsultierte: "Ausdauersport". Mein Hinweis, dass das bei ME/CFS kontraindiziert wäre, wurde übergangen und das Gespräch schnell beendet.

Die englische PACE-Studie, die angab, angeblich die Wirksamkeit von Aktivierungs- und Verhaltenstherapie festgestellt zu haben und weltweit als Empfehlung aufgenommen wurde, wurde in den letzten Jahren wissenschaftlich widerlegt und im Jahr 2017 hat die US-Gesundheitsbehörde CDC Aktivierungs- und Verhaltenstherapie aus den Behandlungsempfehlungen gestrichen.

Leider ist dies bis heute bei vielen Ärzten und auch in diversen Kliniken noch nicht angekommen und somit steht auch bis zum jetzigen Zeitpunkt auf vielen Therapieplänen noch „Aktivierung“. Inzwischen gibt es auch schon einzelne Studien und Umfragen die belegen, dass dies zu einer Verschlechterung des Zustands führt.

Man sollte jedoch trotzdem versuchen, das Aktivitätsniveau unter der Einhaltung von Pacing (Aktivitätsmanagement) aufrecht zu erhalten, aber dies bitte auch nur im Rahmen seiner Möglichkeiten. Man sollte mit den einem zur Verfügung stehenden Ressourcen schonend umgehen und weitestgehend Rückfälle (Crashs) versuchen zu vermeiden.

Pacing wird inzwischen auch als Bestandteil von Therapiekonzepten angewandt und Patientenumfragen bestätigen deren Wirksamkeit. Die wichtigste Botschaft von Pacing ist auf seinen Körper und dessen Zeichen zu hören. Es geht dabei nicht darum wie bei einem Fitnessprogramm Ziele zu erreichen, viel mehr geht es darum sich seine Energiereserven sorgfältig einzuteilen und mit diesen lernen umzugehen. Das erfordert vor allem Geduld, aber auch viel Disziplin und ist ein Lernprozess, der sich nicht von heute auf morgen einstellt. Das ist dann wohl doch ähnlich des Erfolgs bei einem Training z.B. im Fitnessstudio.

Natürlich muss man mit ME/CFS nicht ganz auf Sport verzichten und so gibt es inzwischen auch einige Belege dafür, dass z.B. Liegendyoga auch zu einer Verbesserung/Linderung der Symptome führen kann (Videos dafür findet man u. a. auch bei YouTube). Dies ist z.B. bei Entspannungstherapien/Übungen sowie auch Muskelentspannungen der Fall, aber auch das sollte jeder individuell entscheiden bzw. ausprobieren.

Quelle: https://www.mecfs.de/me-cfs-haeufige-missverstaendnisse/

 

Bilder: 
Sandra (fibro_cfs_und_mein_leben)
Heike (fotoaction16)

 

Eure Erfahrungen:

  • „Kein Wunder, dass Sie so schwach sind, Sie liegen ja nur herum.“
    Mein Einwand, dass mein Puls nach wochenlangem Ausruhen eher weniger hochgeht und das ja gegen Dekonditionierung spricht, wurde weggewischt mit: „Wenn Sie täglich Sport machen, würde der gar nicht so hoch gehen.“
  • „Machen Sie Sport, verabreden Sie sich, sein sie unterwegs.“
    Auf meinen Einwand, dass genau das nicht mehr geht kam: „Man muss auch wollen. Mit Ihrem Konstrukt werden Sie nicht glücklich werden.“
  • „Was? Sie können nur 100 Meter laufen? Aber wenn ich Ihnen einen Rollstuhl verschreibe, stehen sie ja gar nicht mehr auf.“ Der gleiche Gutachter etwas später.
    Er: "Das ist doch Ihr Rollstuhl, oder?“
    Ich: "Ja."
    Er: "Wer hat Ihnen denn den verschrieben?"
    Ich: "Meine Neurologin."
    Er: "RESPEKT!" Und schüttelte verächtlich mit dem Kopf.
  • Neurologin: "Sie brauchen keinen Rollstuhl, steigern Sie einfach langsam Ihre Bewegung."
  • „Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was. Sie müssen sich viel bewegen, damit sie wieder fit werden. Wenn Sie erschöpft sind hinlegen und entspannen, auf gar keinen Fall schlafen, weil deshalb ihr Nachtschlaf nicht erholsam ist.“
  • Ein Lungenfacharzt: „ME/CFS ist keine Krankheit. Sie sind zu dick, untrainiert und haben Asthma. Deswegen haben sie immer wieder Atemnot. Sie müssen ja keinen Marathon laufen, aber ein bisschen joggen würde Ihnen gut tun.“
  • „Sie müssen mehr Sport machen, dann geht es Ihnen besser.“ Ich: „Ich mache Sport, aber dadurch wird alles noch schlimmer.“ Arzt: „Dann müssen Sie halt noch mehr Sport machen.“
  • Komme gerade aus der Charité, Kardiologie wegen Blutdruckkrise. „Sie müssen sich mehr bewegen, wozu benutzen Sie einen Rollstuhl. Habe doch gerade gesehen, das Sie laufen können, Sie waren doch ohne Rollstuhl auf Toilette. Wenn Sie sich mehr bewegen, wird auch Ihr Blutdruck wieder besser.“
Gelesen 6516 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 24 Februar 2021 10:11
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