Patienten, die am sogenannten chronischen Fatigue Syndrom leiden (CFS) leiden, sind eine Herausforderung für jeden Arzt: Sie klagen über Abgeschlagenheit nach körperlicher Aktivität, anhaltende grippeähnliche Symptome, unerholsamen Schlaf, über Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und meist noch über eine lange Liste anderer Symptome, die in kein Krankheitsschema passen wollen. Manche Patienten dieser Krankheit sehen krank aus, andere wiederum erscheinen völlig gesund. Und die Standardlabortests zeigen oft ein negatives Testresultat.

Aus diesem Grund werden die Patienten die an CFS leiden, oft als Simulanten, als depressiv oder zumindest als teilweise psychosomatisch beeinflusst abgekanzelt. Für die Wissenschaftler auf diesem Gebiet jedoch ist dieses Phänomen so real wie Diabetes oder Arteriosklerose.

Allein der Name liefert schon Diskussionsstoff. Die Bezeichnung CFS ist in den USA seit 1988 in Gebrauch, in Großbritannien, Kanada und anderen Ländern nennt sich die CFS – Chronisches F atigue Syndrom [1]. 2002 kommentierte Lancet, dass die Bezeichnung ME/CFS als Kompromissbegriff verwendet werden sollte, da er sowohl die verschiedenen Definitionsansichten, als auch den fehlenden Konsens was eine Bezeichnung für die Krankheit generell angehe, respektiert [2].

Quelle: Medscape - 23. Feb 2015.

 

Auch viele Patienten mögen den Namen „chronisches Erschöpfungssyndrom Syndrom“ nicht, da sie das Gefühl haben, er trivialisiert ihre Krankheit, die zu ausgeprägter körperlicher Schwäche und sogar Bettlägerigkeit führen kann. Dem Namen CFS hat von Beginn an ein gewisses Stigma angehaftet, da es nach Alltagsphänomen klingt: selbst medizinisches Fachpersonal ließ sich demnach von den Krankheitsnamen beeinflussen und stufte „Chronisches Erschöpfungssyndrom“ als weniger ernsthaft ein als „Myalgische Enzephalopathie“ [3].

Zusätzlich gibt es einen wachsenden Konsens, dass das chronische Fatigue Syndrom, wie 1994 von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) definiert, eine deutlich heterogenere und weniger beeinträchtigte Population repräsentiert [4]. Die myalgische Enzephalomyelitis, wie in der Canadian Clinical Case Definition 2003 festgelegt worden ist, ist in ihren Symptomen spezifischer [5].

Beide Definitionen verlangen zusätzliche Symptome zu der mindestens 6 Monate dauernden, nicht erklärbaren Erschöpfung, um die Diagnose zu stellen. Eine Diagnose auf ME jedoch auch das eindeutig zuweisbare Symptom von postexertioneller Malaise [6].

Fürs erste wird der Terminus „ME/CFS“ von den auf diesem Gebiet tätigen Forschern und auch offiziell von verschiedenen Abteilungen in der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde (HHS) genutzt. In Deutschland wird die Krankheit als CFS oder ME bezeichnet. Im Frühjahr 2015 wird das Institute of Medicine im Auftrag der HHS Therapieempfehlungen für neue klinische Diagnosekriterien veröffentlichen und vermutlich auch eine Namensänderung vorschlagen [7].

Eine reale Krankheit

Für Kliniker ist der erste Schritt in die richtige Richtung, ME/CFS als reale Krankheit zu erkennen. „Ich denke es ist wichtig, dass die Ärzte die reichlich vorhandenen Anzeichen für einen zugrunde liegenden biologischen Prozess bei den Patienten für diese Krankheit erkennen, obwohl es kein diagnostisches Testverfahren oder eine nachgewiesene Behandlungsmethode gibt. Die Symptome sind nicht imaginär“, sagt Dr. Anthony L. Komaroff, Chefredakteur der Harvard Health Publications gegenüber Medscape. Dr. Komaroff ist Professor für Medizin an der medizinischen Fakultät in Harvard und Chefarzt am Birmingham Women's Hospital in Boston, USA. Er erforscht die Krankheit seit den 1980er Jahren.

Dr. Jose G. Montoya, Professor für Infektionskrankheiten und medizinische Geographie an der Stanford Universität, der auch der ME/CFS-Initiative von Stanford vorsteht, sagte zu Medscape: „Offensichtlich muss man zuerst einmal einsehen, dass die Krankheit real ist. Wenn man erst einmal erkannt hat, dass es sich um eine richtige Krankheit handelt, geht es darum mit den neuesten Technologien zu arbeiten – genauso wie man eine multidisziplinäre Herangehensweise anstreben sollte.“

Für Prof. Ronald W. Davis ist die Krankheit traurige Realität [8]. Der 31-jährige Sohn des Professors für Biochemie und Genetik an der Stanford Universität, dessen Arbeit zur Genkopplung das Human Genome Projekt ermöglichte, ist vor drei Jahren an CFS erkrankt. Er ist nun bettlägerig und nicht mehr in der Lage zu sprechen.

„Ich glaube nicht, dass die Leute verstehen, wie furchtbar diese Krankheit ist. Die Patienten sehen nicht krank aus. Selbst mein Sohn, der physisch extrem geschwächt ist, sieht nicht wirklich krank aus“, sagte Prof. Davis zu Medscape.

In seiner neuen Stellung als Direktor des wissenschaftlichen Beirats für ME/CFS der Open Medicine Foundation, OMF, hat Prof. Davis die Nobelpreisträger Dr. James D. Watson und Dr. Mario R. Capecchi, sowie andere hochrangige Wissenschaftler angeworben, um eine dem Human Genome Projekt ähnliche, kollaborative MR/CFS-Forschung zu betreiben.

„Ich denke, dass wir die Krankheit in den Griff bekommen können, wenn wir ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Da heißt es eine harte Nuss zu knacken – ich sehe das natürlich als längerfristige Forschungsarbeit. Mir gefällt nicht, dass es so lange dauert, weil mein Sohn krank ist, aber ich bin mir auch bewusst, dass sich das nicht von heute auf morgen ändern wird“, erläuterte Prof. Davis Medscape.

Was ist ME/CFS?

Experten auf dem Gebiet definieren ME/CFS als eine anormale Reaktion des Immunsystems auf infektiöse oder umweltbedingte Einflüsse, was in einen Zustand chronischer Entzündung, autonomer Dysfunktion, eingeschränkter Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achsenfunktion und neuroendokriner Dysreuglierung mündet.

„Man nimmt an, dass es sich um ein Krankheitsspektrum handelt. Wir haben uns darauf verständigt, dass es eine Immunerkrankung mit einer autoimmunen Unterkategorie ist. Diese Unterkategorie wird viral ausgelöst – es handelt sich dann um eine chronische virale Infektion und eventuell noch um andere Trigger oder Stressoren. Man überlegt immer noch, ob es sich um eine Autoimmunkrankheit oder um eine chronische geringgradige Infektion handelt“, erklärt der Gründer des Open Medicine Institute Dr. Andreas M. Kogelnik gegenüber Medscape.

In den USA sind nach Definition des CDC über eine Million Erwachsene und Kinder daran erkrankt. Die kennzeichnenden Symptome für ME/CFS sind unter anderem schwere Erschöpfungszustände über einen Zeitraum von 6 Monaten (bei Kindern 3 Monate) oder länger, ein schon nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung auftretendes Krankheitsgefühl – manche Patienten beschreiben letzteres wie einen Zusammenbruch, der einige Tage aber auch über mehrere Wochen anhalten kann, sowie kognitive Dysfunktion. Vermehrt treten auch chronische Schmerzen auf – vor allem bei Patienten, die auch für Fibromyalgie anfällig sind.

Andere häufig auftretende Symptome sind orthostatische Intoleranz – besonders das posturale orthostatische Tachykardiesyndrom, das man mit der Kipptischuntersuchung nachweisen kann – gastrointestinale Dysfunktion, einschließlich des Reizdarmsyndroms, Hitze- oder Kälteempfindlichkeit und anhaltende grippeähnlichen Symptomen. Zusätzlich zu Fibromyalgie schließen andere übliche Komorbiditäten das Reizdarmsyndrom, Gelenkhypermobilität, interstitielle Zystitis und Migräne ein.

Frauen werden weit öfter mit ME/CFS diagnostiziert als Männer, die nur ein Viertel der Patienten ausmachen. Die Krankheit kann in jedem Alter auftreten. Konträr zu der Charakterisierung als „Yuppie-Grippe“, scheint ME/CFS häufiger bei ethnischen Minderheiten und bei Bevölkerungsgruppen mit niedrigerem sozioökonomischen Status aufzutreten [9].

Physische Befunde und Biomarker

Bei ME/CFS-Patienten sind bei Tests vielzählige physische Auffälligkeiten erkannt worden. So reagieren sie mit deutlich stärkeren biologischen Signalen bei Untersuchungen, die die Reaktion auf physisches Training messen [10]. Die Werte der Patienten mit ME/CFS unterschieden sich deutlich von denen der Kontrollgruppe: die Effekte der Krankheit hatten die einfacher Dekonditionierung bei weitem überstiegen.

Jene Evidenzen zeigen unter anderem einen deutlich reduzierten Sauerstoffverbrauch, sowie reduzierte Belastbarkeit bei ME/CFS-Patienten nach Laufbandtests und eine veränderte Genexpression verglichen mit den Ergebnissen der Kontrollgruppe nach moderatem Training [11;12].

Als neuer Befund zeigte sich eine bilaterale Atropie der weißen Hirnsubstanz bei ME/CFS-Patienten im Vergleich mit Kontrollpersonen [13]. Außerdem dokumentieren mehrere Studien eine signifikant reduzierte natürliche zytotoxische Aktivität der T-Zellen und erhöhte Werte bei vielen proinflammatorischen Zytokinen [14].

Bei älteren ME/CFS-Patienten (66-99 Jahre) wird signifikant gehäuft ein Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert. Dieses wird wie ME/CFS mit dem Epstein-Barr-Virus in Verbindung gebracht [15]. In einer Studie des National Cancer Institute wurden Daten von Observations-, Epidemiologie-, Endpunktstudien und Medicare-Registern von ungefähr 1.2 Millionen Krebsfällen und 100.000 Kontrollpersonen untersucht. Das Ergebnis war eine Standardabweichung von 1.29 und ein P-Wert von .0000017 [16].

In einer neuen Studie mit 165 Konsekutivpatienten mit ME/CFS, bei denen eine obere gastrointestinale Endoskopie und eine Antrumbiopsie vorgenommen wurden, testeten 135 (82%) positiv auf das virale Kapsidprotein 1 des Enterovirus, verglichen mit nur 7 von 34 (20%) bei der Kontrollgruppe (P< .001) [17].
Für die Heterogenität dieser Krankheit und ihrer Symptome spricht auch noch das Ergebnis einer weiteren Studie: 2% der ME/CFS-Fälle wiesen einen chromosomal integrierten humanen Herpesvirus-6 (HHV-6) auf, verglichen mit nur 0.2% bis 0.85% bei der allgemeinen Bevölkerung [18]. Das indiziert eine spezifische Ätiologie für einen kleinen Anteil der Patienten [19].

Auch Behandlungserfolge in randomisierten, Placebo-kontrollierten Blindstudien deuten auf eine biologische Ursache hin. So besserte sich die Symptomatik bei Behandlung mit Valganciclovir in einer Studie von ME/CFS-Patienten mit erhöhten Antikörpertitern auf HHV-6 und den Epstein-Barr-Virus [20]. Auch bei einer Pilotstudie aus den USA (die nun mit einer größeren Patientengruppe wiederholt wird) reagierten ME/CFS-Patienten auf Rituximab, einen monoklonalen Antikörper der B-Zellen zerstört für die Behandlung von non-Hodgkin-Lymphomen und anderen B-Zellen vermittelten Krankheiten zugelassen ist [21].

Das immunmodulatorische aus zweisträngiger RNA bestehende Prüfpräparat Rintatolimod (Ampligen®; Hemispherx Biopharma, Inc.) führte zu einer objektiven Verbesserung der Trainingstoleranz und anderen Endpunkten in einer Phase-3-Langzeitstudie. Die Studie war eine randomisiere Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie von 234 Testpersonen mit langanhaltendem körperlich einschränkendem ME/CFS [22].
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat für Rintatolimod einen Antrag als Behandlung für ME/CFS im Februar 2013 aufgrund von insuffizienter Wirksamkeit und fehlender Daten zur Sicherheit des Mittels zurückgewiesen. Hemispherx will jedoch weiterhin in einer offenen Studie mit ME/CFS-Patienten mit geringer natürlicher zytotoxischer T-Zellenaktivität forschen, erklärte ein Firmensprecher gegenüber Medscape. (Die Firma untersucht die Wirksamkeit des Mittels als Ebola-Medikament und als adjuvante intranasale Influenzaimpfung.[23])

Dr. Montoyas Team an der Stanford Universität hat mehrere proinflammatorische Zytokine identifiziert, die in den Proben von 200 ME/CFS-Patienten signifikant erhöht waren – verglichen mit 400 Kontrollpersonen – und die mit der jeweiligen Schwere der Krankheit korrelieren. „Ein Dosis-Wirkungs-Effekt ist sehr aussagekräftig in der Biologie. Es ist ein Indikator dafür, dass das, was man sieht, real ist“, sagte er zu Medscape. Montoya glaubt, dass es bei ME/CFS eine „genetische Prädisposition für eine überschießende Entzündungsantwort auf ein infektiöses Agens gibt, die statt dem Patienten zu helfen, eine gewaltige inflammatorische Kettenreaktion auslöst.“ Das zeige, dass antiinflammatorische Medikation als mögliche Behandlung in Frage käme, so Montoya.

Bei einem Meeting in Stanford in diesem Jahr hatte Dr. Komaroff darauf hingewiesen, dass viele der infektiösen Agens, die mit ME/CFS in Verbindung gebracht wurden, wie das Epstein-Barr-Virus [24], HHV-6 [25], Coxiella burnetii [26], das Ross-River-Virus aus Australien [27] und verschiedenen anderen Enteroviren [28], auch bei gesunden Menschen nicht vollständig vom Immunsystem beseitigt werden können und/oder in der Lage sind, das zentrale Nervensystem anzugreifen [29]. Das könne bedeuten, so Dr. Komaroff, dass manche ME/CFS-Patienten eine chronische, leichtere Enzephalitis hätten.

Vorsichtsmaßnahmen und Unterkategorien

Jedoch fügt sich die große Masse an Daten über Biomarker noch nicht zu einem einfachen diagnostischen Test zusammen. In dem Artikel „Chronisches Erschöpfungssyndrom: Der aktuelle Stand und das zukünftige Potential von aufkommenden Biomarkern“ [30], veröffentlicht im Juni 2014, gibt das Team um Dr. Jordan D. Dimitrakoff von der medizinischen Fakultät Harvard einen Überblick über die publizierte Literatur über ausgewählte potentielle Biomarker die mit neurologischen und immunologischen Komponenten von ME/CFS in Verbindung gebracht werden und fasst die Stärken und Schwächen eines jeden zusammen und schlägt Forschungsansätze vor, die deren Entwickelung beschleunigen könnten.

Die Autoren des Artikels sehen die Probleme der Biomarkerstudien im kleinen Stichprobenumfang und in der großen Heterogenität der Kriterien, die zur Selektion von Patienten genutzt wurden, was wiederum zu inkonsistenten Befunden geführt hat. Zusätzlich dazu sind die Überschneidungen der Symptome bei den ME/CFS-Patienten mit Patienten die an anderen Krankheiten leiden, ein weiterer Punkt für Unsicherheiten. Zudem sind manche der in den Studien verwendeten Technologien zu teuer, um sie routinemäßig anwenden zu können, so zum Beispiel die funktionelle MRI und Zytometrie.

Nichtsdestotrotz kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: „Basierend auf dem aktuellen Stand der Forschung auf diesem Gebiet bieten Biomarker ein großes Potential um ME/CFS-Subgruppen in Bezug auf Prognosen und Therapieansprache zu charakterisieren.“

Klinische Ansätze

Selbst ohne definitiven Labortest können Ärzte den Patienten helfen, wenn sie die Diagnose aufgrund der Vorgeschichte und der Symptome stellen.

In einer Umfrage mit 256 Patienten die von der Solve ME/CFS Initiative durchgeführt wurde, gaben 88% der Patienten an, die Diagnose von einem Arzt gestellt bekommen zu haben. Jedoch waren die meisten bei mehr als vier Ärzten bevor sie diese Diagnose erhielten, mit Verzögerungen von 1 bis 5 Jahren bei 36% der Befragten, bei 21% dauerte es 5 bis 10 Jahre und bei 12% sogar mehr als 10 Jahre.

„Das ist eine unglaublich lange Zeit, die man mit Schmerzen und Beeinträchtigungen ohne ärztliche Bestätigung zu leben hat“, sagte Carol Head, Präsidentin und CEO der Gesellschaft in bei einem Meeting des medizinischen Instituts im Januar 2014 – das erste von zwei offenen Meetings, die die neuen Diagnosekriterien diskutierten.
Viele der ME/CFS-Patienten – 78% in Dr. Komaroffs Referenzpopulation – sind in der Lage, den Beginn der Krankheit auf eine grippeähnliche Erkrankung zurückzuführen, von der sie sich nie erholt haben. Das unterscheidet ME/CFS-Patienten von anderen Patienten, die wegen Erschöpfungskrankheiten in Behandlung sind, Depressionen eingeschlossen. Deren Antworten fallen meist eher vage aus, wenn sie gefragt werden, wann die Krankheit aufgetreten ist. Außerdem gibt es einen Unterschied, wenn man den Patienten fragt „was würden Sie tun, wenn Sie nicht krank wären?“

Depressive Patienten haben typischer Weise keine Antwort auf diese Frage, wohingegen ME/CFS-Patienten oftmals ganze Listen von Vorhaben herunterrattern können. „Bei Depression ist eine Apathie zu erkennen, bei ME/CFS-Patienten ist eher eine Frustration und Wut festzustellen“, sagte Dr. Komaroff gegenüber Medscape.
Natürlich könne eine Depression aufgrund einer ME/CFS-Erkrankung entstehen, aber das trete allem Anschein nach nur bei einer Minderheit der Patienten auf, so Dr. Komaroff.

Zwar gibt es für die Krankheit ME/CFS selbst noch keine Behandlungsmöglichkeit, für die häufigsten Symptome jedoch gibt es Möglichkeiten, sie zu lindern: etwa Schmerzen, unruhigen Schlaf und gastrointestinale Beschwerden. Zudem können Ärzte mit den Patienten Anleitungen für das Energiemanagement, auch „Pacing“ genannt, besprechen, um postexertionelle Malaise zu vermeiden [31].

Die PACE-Studie aus England hat gezeigt, dass sowohl ein verhaltenstherapeutischer Ansatz als auch mäßige körperliche Belastung einen positiven Effekt auf die Fatigue haben können [32]. Auch wenn die Studie umstritten ist, sind mit der Schwere der Krankheit korrelierende leichte körperliche Aktivitäten zu empfehlen.

Die PACE-Studie ist zum Teil von einer britischen Regierungsbehörde finanziert worden, die Invalidenrenten ausschüttet und mehrere der Forscher hatten Verbindungen zu Versicherungen.

Sehr behutsames Training – sollte der Patient dazu in der Lage sein – hilft einer Dekonditionierung vorzubeugen. Außerdem ist gegebenenfalls psychotherapeutische Behandlung, um den Patienten bei der Krankheitsbewältigung zu helfen, zu empfehlen. Beides jedoch ohne die Erwartung, dass eine der beiden Ansätze den Krankheitsverlauf verbessern wird. Oftmals verweigern Patienten auch die Psychotherapie, weil sie das Gefühl haben, ihre Krankheit werde als psychologisch verursacht abgetan.

Die US-amerikanische Regierung beschäftigt sich mit ME/CFS an verschiedenen Fronten. Ein zweitägiger Workshop „Wege zur Prävention“ (engl. Pathways to Prevention, P2P), der im National Institutes of Health (NIH) am 9. und 10. Dezember 2014 gehalten wurde, war dazu gedacht, Lücken im Forschungsgebiet zu finden [33].

Trotz dieser Anstrengungen der Behörden bewegt sich die Höhe der Forschungsgelder vom NIH für CFS nur bei knapp 5 Millionen US-Dollar. Das steht in starkem Kontrast zu den 115 Millionen US-Dollar für Multiple Sklerose, von der ungefähr 400.000 Menschen in den USA betroffen sind, und über 3 Milliarden für die HIV/AIDS-Forschung, mit der ungefähr einer Million Patienten [34]. Auch knapp eine Million Menschen leiden am CFS, jedoch sind die Forschungsmittel vergleichsweise niedrig. In Deutschland sind schätzungsweise etwa 300.000 Menschen an ME/CFS erkrankt.

Ein Großteil der Forschungsarbeit für CFS in den letzten Jahren wurde aus privaten Quellen finanziert, wie Solve ME/CFS, der Hutchins Family Foundation und der Edward P. Evans Foundation.Bei dem P2P Meeting haben die Redner an das NIH appelliert, die ME/CFS Fördergelder zu erhöhen.

Dr. Kogelnik, der sich vor allem mit „Massendaten“ für komplexe Krankheiten, unter anderem ME/CFS am Open Medicine Institut beschäftigt, äußerte sich frustriert über den Fördergeldermangel für neue Genomik-, Proteomic und Genexpressionsanalysen für größere Versuchsreihen mit Proben von ME/CFS-Patienten. „Unsere ersten Daten sind umfangreich und vielversprechend. Unsere größte Herausforderung war die der Finanzierung, um ehrlich zu sein. Wir sammeln private Gelder, um diese Studien durchführen zu können. Das ist so nicht ganz in Ordnung, wenn man bedenkt, was für aussagekräftige Daten das sind. Das NIH muss sich wirklich um bessere Förderung bemühen.“

Prof. Davis sagte zu Medscape: „Das NIH finanziert Forscher – und es gibt nur sehr wenige Forscher auf dem Gebiet des ME/CFS. Das Budget ist also proportional dazu. Und natürlich ist auch die Anzahl der Forscher proportional zu den Forschungsgeldern – das ist ein Dilemma.“

Davis hat gerade erst angefangen, Gelder für das Forschungskonsortium wie er es sich vorstellt einzutreiben. „Man muss einen neuen Ansatz finden. Als wir das Human Genome Projekt gestartet haben, konnten sie es nicht einfach proportional zur Anzahl der Forscher auf dem Gebiet der Genomsequenzierung finanzieren, einfach weil es so wenige davon gibt. Deshalb hat man ein ganz neues Programm dafür entwickelt“, so Prof. Davis.
Prof. Davis gehört zu denjenigen, die hoffen, Studien beginnen zu können, die differenzierte Testverfahren beinhalten und in denen mit den am schwersten betroffenen bettlägerigen ME/CFS-Patienten, wie beispielsweise seinem Sohn, geforscht werden kann. Fast alle bisherigen Daten wurden bei Patienten gesammelt, denen es immerhin gut genug ging, in einem Labor Laufbandtests oder andere Formen von Untersuchungen über sich ergehen zu lassen.

„Die Signale, was genau diesen stark beeinträchtigten Patienten fehlt, sind vermutlich deutlich prononcierter. Das ist bei recht vielen Krankheiten so – wenn man sehen möchte was los ist, geben die schweren Fälle viel mehr Aufschluss,“ merkt Prof. Davis an.

Dr. Kogelnik erläuterte gegenüber Medscape: „In der Medizin haben wir am liebsten einfache Lösungen. Wir sind super darin, Krankheiten zu diagnostizieren, die aus nur einem Problem bestehen – wie eine verstopfte Arterie zum Beispiel. Worin wir wirklich schlecht sind, ist eine Diagnose für komplexe Krankheiten zu stellen, die ein systemisches Problem aufweisen. ME/CFS wirft das komplette System über den Haufen, was bedeutet, dass es nicht nur ein Medikament gibt, um alle Patienten damit heilen zu können. Es geht eher darum herauszufinden, was zum Ungleichgewicht im Körper führt. Das ist kein Denksystem in dem wir als Mediziner gut sind. Und ich glaube, das ist etwas, das wir ändern müssen. Ganz besonders, wenn es um diese Krankheit geht.“ 

1. Tucker M: Medscape. Chronic Fatigue: NIH Literature Review Faulted. 17. Oktober 2014

2. Report of the ME/CFS Working Group, Januar 2002

3. Jason LA, et al: Am J Community Psychol. Februar 2002;30(1):133-48

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5. Carruthers BM, van de Sande MI: Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: An Overview of the Canadian Consensus Document; 2005/2006

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