ℹ️ In ganz Deutschland haben am Samstag Betroffene demonstriert, die an ME/CFS leiden. Unser Autor war dabei und berichtet von Wut gegen die Politik, Tränen und Hoffnung.
📌 Sie kritisieren erneut das kollektive Versagen von Politik und Gesundheitssystem. Neusten Schätzungen zufolge leiden etwa 620.000 Menschen allein in Deutschland an Myalgischer Enzephalomyelitis bzw. dem Chronischen Fatigue Syndrom. Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der Betroffenen durch besonders heftige Verläufe von Long Covid mehr als verdoppelt. Die den Leuten ins Gesicht geschriebene Traurigkeit, Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit an diesem Samstag verdeutlicht, wie sehr sie vom System im Stich gelassen werden. Viele von ihnen sind vor allem eines: wütend.
📌 Die Initiatoren der Liegenddemo betonten vor ein paar Wochen in der Ankündigung der Demonstration auf Instagram, dass die ME/CFS betroffenen Menschen selbst zu krank seien, um in der Öffentlichkeit auf ihr Leid aufmerksam zu machen. Daher appellierten sie an Stellvertretende – sprich Freunde, Kolleginnen, Angehörige – am 10. und 11. Mai sowie am 12. Mai, dem internationalen ME/CFS-Awareness-Day, bundesweit auf den Liegenddemos für Menschen mit ME/CFS zu demonstrieren und die Krankheit sichtbar zu machen. Auf von den Veranstaltern verteilten Bannern steht, was aus Sicht der Erkrankten endlich besser werden muss: „Anerkennung, Versorgung, Forschung“.
📌 Der Großteil der an ME/CFS Erkrankten ist arbeitsunfähig – sie können nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen und in den schlimmsten Fällen sogar nicht einmal mehr das Bett verlassen. Und trotzdem wird die Krankheit als solche ebenso oft von Ärzten und Politikern ignoriert wie die existenziellen Sorgen und Ängste der Betroffenen.
📌 Es ist nicht weniger als ein gesundheitspolitischer Skandal, den die Erkrankten seit Jahren ertragen müssen. Das wird spätestens in den diversen Redebeiträgen bei der Liegenddemo deutlich. „Uns fehlt die Kraft – euch fehlt der Wille“ ist auf einem der Demonstrations-Schilder zu lesen. Auf einem anderen steht: „Wir liegen nicht herum, wir kämpfen im Liegen.“
📌 Es fließen viele Tränen. Und dennoch unterstreichen die eindringlichen Worte der Mutter in Richtung der neuen Bundesregierung von Friedrich Merz (CDU), dass sie sich ihren Mut und ihre Entschlossenheit im Kampf für eine bessere Unterstützung ihres Sohnes trotz aller Rückschläge nicht nehmen lässt.
📌 Zu lang wurden sie von der Politik im Stich gelassen – beispielsweise im vergangenen Jahr, als der Berliner Senat sein Versprechen brach, mehrere Anlaufstellen für die Betroffenen einzurichten. Und das mit der absurden Begründung, dies sei nicht Aufgabe des Landes Berlin und die Krankenbehandlung der Betroffenen sei ohnehin durch die Regelversorgungsstruktur gewährleistet. Blanker Hohn war das!
📌 Und ein harter Schlag ins Gesicht der hunderttausenden Betroffenen, die auf der Suche nach Hilfe täglich von Praxis zu Praxis rennen und dabei oft nur Fragezeichen über den Köpfen der Ärzte sehen. Stattdessen wird ihnen häufig geraten, doch einfach mal mehr Sport zu machen. Und es wird suggeriert, dass es sich um eine rein psychische Erkrankung handelt.
📌 Julia Sahi, gesundheitspolitische Sprecherin im Brandenburger Landtag, war als einzige Stellvertreterin für die Politik dabei. Von der neuen Bundesregierung fehlte hingegen jede Spur. Ein mehr als unglücklicher Eindruck, den CDU und SPD so hinterlassen. Den Betroffenen bleibt nur zu hoffen, dass die neue Regierung nach der Veröffentlichung ihres Koalitionsvertrags, in welchem ME/CFS erstmals erwähnt und eine Stärkung der Versorgung und Forschung versprochen wird, endlich auch Taten folgen lässt.
Quelle: Berliner Zeitung