Chronisches Müdigkeitssyndrom: ein Bluttest unterscheidet mit 100%iger Sicherheit zwischen gesund und krank


Ein preiswerter Bluttest ermöglicht zuverlässig die Abgrenzung von Personen mit chronischem Müdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome, CFS) von Gesunden. Darüber berichten Dr. Rahim Esfandyarpour, von der Universität von Kalifornien in Irvine (früher an der Stanford University), USA, und sein Team in den Proceedings of the National Academy of Sciences [1].

In den USA leiden etwa 2 Millionen Menschen am CFS; in Deutschland rund 300.000. Doch bislang existiert kein allgemein anerkanntes biologisches Diagnoseverfahren. Die Diagnose wird daher bislang rein klinisch gestellt. Viele Erkrankte sind wahrscheinlich gar nicht diagnostiziert. Es handelt sich um eine preiswerte, schnelle, handliche, minimalinvasive und sehr empfindliche Testmethode. Dr. Rahim Esfandyarpour und Kollegen.

Quelle: Medscape - 24. Mai 2019

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert. 


Der neue Test basiert auf dem Nachweis von unterschiedlichen Impedanzmustern in den Blutproben von CFS-Patienten und gesunden Personen als Reaktion auf hyperosmotischen Stress. Dies „führt in Verbindung mit bereits bestehenden Evaluationsmaßnahmen möglicherweise zu einem neuen diagnostischen Biomarker und einem Instrument zum Medikamenten-Screening bei CFS … Es handelt sich um eine preiswerte, schnelle, handliche, minimalinvasive und sehr empfindliche Testmethode“, schreiben die Autoren.

Angesichts der Bedeutung und Zuverlässigkeit des Tests stellen sich die Autoren vor, dass „er in naher Zukunft auf anderen Forschungsgebieten und in Kliniken als Hilfsmittel für Ärzte und in der CFS-Forschung tätige Kollegen eingesetzt werden kann“.

Test belegt biologische Wurzeln des CFS

Prof. Dr. Ronald W. Davis, Stanford University, und Direktor des Stanford Genome Technology Center in Kalifornien, USA, ist Hauptautor der Studie. Er war bereits Mitbearbeiter des wegweisenden Projektes zur Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2001. Sein erwachsener Sohn ist als Folge einer CFS-Erkrankung schon jahrelang bettlägerig und schwer behindert, was Davis veranlasste, seine Forschungsanstrengungen auf das CFS zu verlagern.

In der aktuellen Studie differenzierte der Test Blutproben von 20 Patienten mit mittelschweren bis schweren CFS (anhand des kanadischen Konsensdokuments von 2003 diagnostiziert) und 20 gesunden Kontrollpersonen mit einer Trefferquote von 100%.

Die Autoren betonen aber, dass sie den Test noch nicht an Menschen mit anderen Erkrankungen durchgeführt haben und so nicht wissen, ob es sich um eine eindeutige Identifizierung von CFS-Patienten handelt, oder ob der Test auch bei anderen Erkrankungen eventuell positiv ausfällt.

Allerdings sei das weniger entscheidend im Vergleich dazu, dass nun der klare Nachweis einer Anomalie beim CFS gelungen sei. Denn bislang sei die Skepsis über die biologische Grundlage des CFS in der medizinischen Fachwelt immer noch groß, erklärte Davis in einem Medscape-Interview anlässlich des jüngsten 2-tägigen NIH-Kongresses (National Institutes of Health), auf dem er einen Ausblick auf die Daten präsentiert hatte.

„Es ist ein potenziell diagnostischer Test … Meistens hören die Patienten: ‚Mit Ihnen ist alles in Ordnung.‘ Unser Hauptaugenmerk liegt jedoch darauf zu sagen, dass bei diesen Patienten eben etwas nicht in Ordnung ist“, fuhr Davis fort. „Ob dieser Test bei anderen Krankheiten positiv ausfällt, ist an dieser Stelle irrelevant. Der Punkt ist, diese Menschen sind nicht gesund, und jetzt sollten wir erstens herausfinden, was mit ihnen los ist, und uns zweitens viele andere Patienten untersuchen und deren Merkmale registrieren.“

Eine Anomalie, die 20 Patienten perfekt von gesunden Personen unterscheidet, ist offensichtlich ein Hinweis auf eine zugrunde liegende Biologie … Prof. Dr. Anthony Komaroff.

Medscape bat Dr. Lucinda Bateman, Gründerin und Direktorin des Bateman Horne Center in Salt Lake City während des NIH-Meetings um einen Kommentar: „Das größte Problem ist, dass wir nicht wissen, wie [der Test] bei anderen Krankheitsprozessen ausfällt … Aber es ist wirklich [hilfreich] zu zeigen, dass es Unterschiede zum Normalen gibt. Ich hoffe, dass ein großes Interesse geben wird, dies zu erklären und zu verstehen, ob solche Ergebnisse auch bei anderen Krankheitsprozessen vorkommen. Der beste Weg, das herauszufinden, sind weitere Studien.“ Prof. Dr. Anthony Komaroff, Harvard Medical School in Cambridge, kommentierte die Resultate auf dem NIH-Meeting so: „Eine Anomalie, die 20 Patienten perfekt von gesunden Personen unterscheidet, ist offensichtlich ein Hinweis auf eine zugrunde liegende Biologie, welche die Symptome der Erkrankung verursachen könnte, und ich bin mir sicher, dass man dem nachgehen wird.“

Test stresst Zellen mit Salz

In früheren Studien wurde gezeigt, dass PBMC (Peripheral Blood Mononuclear Cells, Lymphozyten und Monozyten) die einem biologischen Stressor, wie etwa einer hyperosmotischen Belastung, ausgesetzt sind, gezwungen sind, ATP zu verbrauchen. Und ATP gilt als defizitärer Schlüsselmetabolit bei CFS-Patienten.

Der neue Test verwendet einen Nanoneedle-Chip, der „die Impedanzmodulationen, die sich aus zellulären und/oder molekularen Wechselwirkungen ergeben, direkt in Echtzeit misst“, erklärten die Autoren.

Um das Hauptsymptom der CFS, also die Verschlechterung der Symptome nach leichter Anstrengung, was auch als Post-Exertional-Malaise (PEM; Zustandsverschlechterung nach Belastung) bekannt ist, nachzuahmen, fügten die Forscher Salz als Stressor für die PBMC den Blutproben der Patienten hinzu, die dann in ihrem eigenen Plasma inkubiert wurden. Ich vermute, es hat etwas mit den Mitochondrien zu tun, aber genau weiß ich es nicht. Prof. Dr. Ronald W. Davis

Die Impedanzsignale stiegen bei den CFS-Patienten dramatisch über die Ausgangswerte an, blieben aber bei den Kontrollpersonen unverändert. Zwischen den beiden Gruppen gab es keine Überschneidungen. Zurzeit ist nicht ganz klar, was die Messergebnisse bedeuten. „Ich vermute, es hat etwas mit den Mitochondrien zu tun, aber genau weiß ich es nicht“, äußerte Davis sich gegenüber Medscape.

Abgesehen davon, dass die Abweichungen von der Norm deutlich waren, ließen sich die Ergebnisse auch sehr gut reproduzieren. „Wiederholt man die Messung bei demselben Patienten, erhält man genau das gleiche Resultat. Das gilt auch nach einer Woche oder sogar nach einem Monat.“ Die nächsten Schritte: Eine größere Kohorte und Medikamentenprüfungen. Die Forscher weiten jetzt ihre Anstrengungen aus, um die Ergebnisse nach Möglichkeit in einer größeren Patientenkohorte zu bestätigen.

Sie setzen den Test auch dazu ein, verschiedene Medikamente zur Behandlung der CFS zu testen, indem sie den Patientenproben bestimmte Wirkstoffdosen hinzufügen und den Test erneut ausführen, um zu sehen, ob sich die Impedanz verändert. Tatsächlich konnte so ein Kandidat für einen möglichen therapeutischen Wirkstoff identifiziert werden, der die Messergebnisse zu normalisieren scheint. Laut einer Pressemitteilung aus Stanford sind „Davis und Esfandyarpour zuversichtlich, dass sie ihren Befund demnächst in einer klinischen Studie testen können“.